Erfahrungsbericht von Philipp

Anführungszeichen

Als Rettungsdienst ist es für uns eine enorme Entlastung, wenn eine Patientenverfügung vorliegt, zum einen, weil wir dann wissen, was der Patient wirklich will und nicht davorstehen und „rätseln“ müssen, was könnte er wollen und was nicht.

Lesedauer:

5 min

Kurz zusammengefasst

Philipp erlebt in seinem Dienst als Notfallsanitäter viele Situationen, in denen Vorsorgedokumente zum Einsatz kommen und benötigt werden. Zudem hat er in seiner Familie mit Oma und Opa selbst Erfahrungen mit Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht gemacht und erzählt uns von seinen Erfahrungen.

Bei uns im Rettungsdienst gibt es immer wieder ganz verschiedene Situationen, in denen Vorsorgedokumenten, speziell die Patientenverfügung zum Einsatz kommen. Ein klassisches Beispiel, wie es häufig vorkommt, ist ein Einsatz im Seniorenheim. Dort wird die Patientenverfügung meist schon durch die Pflegekraft parat gelegt, was für uns eine große Erleichterung darstellt, weil bei solchen Einsätzen meist auch keine Angehörigen sondern nur die Pflegefachkräfte vor Ort sind. Zudem sind das dann Patienten, die schon recht alt und oft multimorbid sind, wo sich dann oft die Frage stellen würde, ob z.B. eine spezielle medizinische Intervention oder gar eine Reanimation in dieser Situation medizinisch sinnvoll und möglich, bzw. tragbar wäre und ob das dann auch dem mutmaßlichen Patientenwillen entsprechen würde.

Die Einsätze, in denen die Patientenverfügung schon parat ist, sind dann klare Fälle und helfen uns auch weiter. Aber die klaren Fälle gibt es eben nicht immer. Ein generelles Problem ist die Altersstufe zwischen 60 und 80 Jahren. Die Menschen haben oft schon schwere Erkrankungen, aber leider immer wieder keine Vorsorgedokumente.

Wenn ich die Häufigkeit, wie oft eine Patientenverfügung vorhanden ist in eine Zahl einordnen müsste, würde ich sagen, dass von 100 Einsätzen vielleicht 1-2% der Menschen eine Patientenverfügung haben bzw. diese auch direkt verfügbar ist.

Einsätze, bei denen Menschen reanimiert werden müssen, sind das häufige Beispiel, in denen wir, aber auch die Angehörigen dankbar sind, wenn eine Patientenverfügung vorhanden ist. Da gibt es unzählige Situationen.

Eine Situation, in der keine Dokumente vorhanden waren, war folgendermaßen: Dieser Einsatz war im häuslichen Umfeld, in einem Mehrgenerationenhaus. Der Patient war stark vorerkrankt und die Angehörigen meldeten, der Patient hätte keinen Puls und keine Atmung mehr. Wir sind als Rettungsdienst zum Einsatzort gekommen und haben mit der Reanimation des Patienten begonnen. Die Tochter und Ehefrau waren auch anwesend und früher oder später kommt dann durch den Notarzt die Frage nach der Patientenverfügung. In diesem Fall war keine vorhanden und wir haben weiter reanimiert und beatmet und vergeblich versucht, den Patienten wieder zurück ins Leben zu holen. Die Angehörigen mussten in diesem Fall entscheiden, was nun passiert und was wohl der mutmaßliche Patientenwille ist. Das ist eben eine sehr schwierige Situation, die Angehörigen stehen dabei, wir arbeiten unsere medizinischen Maßnahmen ab und der Notarzt benötigt eine Aussage der Angehörigen. Die stehen dann natürlich unter Druck, die Ehefrau, von der gerade der Mann gestorben ist und die Tochter, von der eben der Vater gestorben ist. Das ist dann natürlich extrem schwierig, wenn es keine Dokumente gibt. Das ist eine enorm belastende Entscheidung und das hat man denen auch deutlich angesehen. Die Entscheidung fiel dann darauf, die Maßnahmen abzubrechen, zumal sich im Verlauf herausstellte das der Patient schon für diesen Zustand relativ lange unbeobachtet war, was bedeutet, dass die Überlebenschance aus medizinischer Sicht sehr minimal gewesen wäre.

Als Rettungsdienst ist es für uns eine enorme Entlastung, wenn eine Patientenverfügung vorliegt, zum einen, weil wir dann wissen, was der Patient wirklich will und nicht davorstehen und „rätseln“ müssen, was könnte er wollen und was nicht.

Ich für mich persönlich finde das gut, weil ich dem Patienten dann unter Umständen nicht auf dem Brustkorb herumdrücken muss und ihm irgendwelche Maßnahmen zumuten muss, die er vielleicht gar nicht hätte wollen.
Klar, wenn der Mensch jung und gesund ist, gibt es für uns keinen Grund, irgendetwas nicht zu tun, da wird alles medizinisch Mögliche getan. Bei schwer erkrankten älteren Menschen kann je nach Notfallbild jedoch auch die Wahrscheinlichkeit einer Genesung gering sein

Ein weiterer Fall, der mir im Laufe meiner Ausbildung im Zusammenhang mit Vorsorgedokumenten besonders im Kopf geblieben ist, war ein Fall am Bodensee. Bei dem Fall war eine Busreisegruppe aus dem Ausland unterwegs, da war ein Herr dabei, der war ca. 50 Jahre alt, der im Bus kollabiert ist, reanimiert wurde und anschließend ins Krankenhaus kam. Dieser Herr war komplett alleine, keiner im Bus kannte ihn und keiner wusste, wie er heißt. Es gab nur die Dokumente, die er dabeihatte, sowas wie ein Ausweis etc. Der Herr wurde dann im Krankenhaus intensivmedizinisch behandelt und mehrere Tage beatmet. Irgendwann hat man dann die Angehörigen ausfindig gemacht und die sind dann auch angereist. Hier war dann das Problem, dass der Patient keine Vorsorgedokumente hatte. Man hat den Patienten mehrere Tage auf der Intensivstation behandelt und alles medizinisch Mögliche gemacht. Er hat dann auch ein Hirnödem entwickelt und im Verlauf erlitt er einen Hirntot. Er hatte noch einen Kreislauf, weil er beatmet wurde und starke Herz-Kreislauf unterstützende Medikamente bekam. Als die Angehörigen dann nach ein paar Tagen angereist waren, standen diese dann am Intensivbett. Hier gab es jedoch keine wirkliche Entscheidung mehr zu treffen, da der Patient am Tag der Anreise den genannten Hirntod diagnostiziert bekam. In diesem Fall gibt es keine Überlebensaussicht mehr. Die Angehörigen konnten realistisch nur noch entscheiden, ob der Patient als Organspender zur Verfügung steht oder nicht. Die Angehörigen konnten sich jedoch noch vernünftig verabschieden. Im Verlauf wurde dann gemeinsam entschieden die Beatmung und Kreislaufunterstützung zu beenden. Hier war es ebenfalls ein Problem das keinerlei Vorsorgedokumente zur Verfügung standen, sämtliche Maßnahmen wurden hier im Rahmen einer mutmaßlichen Einwilligung getroffen.

Auch in meinem familiären Umfeld kamen Vorsorgedokumente schon zum Einsatz. Als es bei meiner Oma und bei meinem Opa so langsam mit verschiedenen gesundheitlichen Problemen angefangen hat, haben wir sie gebeten, Vorsorgedokumente auszufüllen. Das war extrem schwierig, dieses Thema mit den Großeltern zu besprechen, sogar richtig schlimm! Die haben gemeint, man möchte sie wegschaffen, entmündigen oder in ein Heim stecken oder so. Es war echt eine sehr lange Überredungskunst und sehr schwierig, den Einstieg in das Thema zu finden und da überhaupt darüber zu sprechen. Letztendlich haben sie es dann beide ausgefüllt und meine Schwester wurde auch als Betreuerin bestellt.

Es war absolut richtig und wichtig, diese Dokumente damals ausgefüllt zu haben, weil sie im Endeffekt auch zum Einsatz kamen.

Mein Opa kam mit Hirnblutungen ins Krankenhaus und ist daran in der Folge dann auch gestorben. Wir haben dann vor Ort mit dem Intensivmediziner gesprochen, der hat uns dann gesagt, dass es medizinisch eigentlich keinen Sinn mehr macht und es nahezu unmöglich ist, unseren Opa und Vater hier wieder gut herauszubekommen. In seiner Patientenverfügung stand dann auch, dass er keine lebenserhaltenden Maßnahmen möchte und dann hat man diese Maßnahmen auch eingestellt.

Bei meiner Oma war es eigentlich auch ähnlich, sie hatte COVID-19 und ist in der Folge auch daran verstorben. Da war die Situation dann ganz ähnlich, meine Mama und meine Schwester sind mit der Patientenverfügung ins Krankenhaus gekommen, haben dort mit den Ärzten gesprochen und im Endeffekt hat man dann auch aufgrund der vorhandenen Patientenverfügung keine weiteren medizinischen Maßnahmen unternommen.

Das könnte Sie außerdem interessieren

Jetzt für die Zukunft absichern

Laptop
Nach oben gehen