Lesedauer:
3 min
Kerstin musste durch einen Krankheitsfall ihrer Oma erfahren, wie durch eine vom Gericht bestellte Betreuerin über die Köpfe der Familie hinweg, Entscheidungen für ihre Oma getroffen wurden.
2008 fand ich meine Oma, damals 79 Jahre, bewusstlos in ihrer Wohnung vor. Ihre Lippen waren blau und es war kein Herzschlag spürbar. Also fing ich sofort mit der Herzdruck Massage an. Meine Mutter kam dazu, löste mich ab und währenddessen rief ich den Notarzt. Dieser schaffte es, sie nach einer gefühlten Ewigkeit wieder zu beleben. Doch kurz vor dem Abtransport ins Krankenhaus erlitt sie einen schweren Herzinfarkt im Krankenwagen. Daher wurde sie nach der Einlieferung für ungefähr eine Woche ins künstliche Koma versetzt. Nachdem sie wieder aus dem Koma geholt wurde, waren wir uns als Familie einig darüber, dass meine Oma in die Reha kommt, sobald sie sich von dem Herzinfarkt erholt hat, um anschließend wieder bei uns in ihrer Wohnung leben zu können. Wir lebten zusammen in einem drei Generationenhaus, daher wäre sie nie allein gewesen. Doch das Krankenhaus handelte völlig anders. Wenn wir meine Oma besuchten, war sie immer sehr verwirrt. Sie hatte Halluzinationen und Angstzustände, sodass sie sich zeitweise für ein junges Mädchen hielt, das war gruselig. Sie sah mich immer sehr verängstigt an und weinte, weil sie Angst vor einem Mann hatte, der gar nicht da war. Sie versuchte sich bei mir zu verstecken und hielt mich fest, damit ich nicht weggehen konnte. Ich glaube auch, sie wollte nicht mehr leben. Ihren Sohn hat sie auch öfter gesehen, obwohl er schon 3 Jahre vorher gestorben war.
Zwischendurch war es auch lustig, was sie für Geschichten erzählte aber erschreckend war diese Situation allemal. Da sie vor dem Infarkt nie den Anschein erweckt hatte, an Demenz zu leiden, befürchteten wir, dass sie zu lange ohne Sauerstoff war und einen dauerhaften Hirnschaden davon getragen hatte. Die Reanimation hatte doch sehr lange gedauert und wir wussten nicht, wie lange sie bewusstlos war, bis ich sie fand, da zu dem Zeitpunkt ca. eine Stunde vergangen war, als ich zuletzt nach ihr gesehen hatte. Daher hielten wir Rücksprache mit ihren Ärzten und Ärztinnen, diese konnten unsere Befürchtung glücklicherweise nicht bestätigen.
Wir wurden darüber aufgeklärt, dass vom Gericht eine "neutrale" Betreuungsperson für meine Oma gestellt wurde. Diese sollte jede medizinische Entscheidung im Sinne meiner Oma treffen, da sie keine Patientenverfügung oder andere Vorkehrungen getroffen hatte.
Per Post wurden wir davor schon darüber informiert, wogegen wir Widerspruch eingelegt hatten, welcher allerdings abgelehnt wurde.
Naiver weise dachten wir, wir würden dennoch in die Entscheidungen miteinbezogen werden, da wir als Familie doch am besten Bescheid wussten, was meine Oma möchte, zumindest meine Mutter, die Tochter meiner Oma.
Wir haben dann erfahren, dass das Krankenhaus von dieser Betreuerin angewiesen wurde, meine Oma mit ausreichend Beruhigungs- und Schlafmittel ruhig zu stellen, was diese Halluzinationen und Angstzustände verursachte.
Es hat lediglich ein einziges Telefonat zwischen der Betreuerin und meiner Mutter stattgefunden, in der sie sich nach den Wünschen meiner Oma erkundigte. Doch ihr Handeln war das komplette Gegenteil! Es war absolut entwürdigend für sie. Sie wurde wie ein Stück Fleisch behandelt, völlig nackt hat man sie in ihrem Zimmer liegen lassen, ohne Bedeckung, weil sie keine Blasen- und Darmkontrolle mehr hatte und es zu aufwendig wurde, die Wäsche zu wechseln und sie sich immer wieder den Katheter zog. Zum Glück hat hier eine Beschwerde von unserer Seite gereicht und man deckte sie von da an wenigstens zu. Das war allerdings der einzige Wunsch von unserer Seite, dem nachgekommen wurde. Die Betreuerin hatte kein Interesse daran, dass meine Oma jemals wieder ein selbstständiger Mensch wird. Sie wurde quasi zum Sterben zurückgelassen. Das wäre nie im Interesse meiner Oma gewesen, sie war unheimlich lebensfroh. Also wollten wir sie in eine Rehaklinik verlegen lassen. Das Gericht machte uns allerdings einen Strich durch die Rechnung und stimmte der Betreuerin zu, meine Oma ruhig zu stellen. Es war ein wochenlanger Kampf, doch meine Mutter bekam schlussendlich Recht und wurde zum medizinischen Vormund meiner Oma erklärt. Umgehend ließen wir die "Behandlung" im Krankenhaus abbrechen und sie wurde in eine Rehaklinik transportiert. Da meine Oma sich während ihres Krankenhausaufenthalts mit dem MRSA-Keim infiziert hatte, befürchteten wir schon, dass sich auch dort in der Rehaklinik nicht ausreichend gekümmert wird. Doch unter Einhaltung sehr strenger Hygienemaßnahmen, wurde jeden Tag mit meiner Oma hart gearbeitet und bereits ab dem ersten Tag stellten wir eine starke Veränderung ihres Geisteszustandes fest. Sie war wieder sie selbst und wollte leben. Nach 6 Wochen war sie wieder im Stande nach Hause zu kommen. Nach etwas Eingewöhnung konnte sie ein selbst bestimmtes und vor allem glückliches Leben führen, bis sie nach 4 Jahren eines morgens nicht mehr aufwachte und daheim friedlich einschlafen konnte.